Kunst als Weltsprache. KUNST + nachgefragt mit Zaki Al-Maboren.
„Aber was will der Künstler uns damit sagen?!“, gehört zu den wohl am häufigsten gestellten Fragen im Museum. Eine eindeutige Antwort ist nun selten möglich. Nur wenige Künstler:innen hinterlassen schriftliche Äußerungen zu ihrem Werk. Alles andere ist und bleibt eine Interpretation. Die der Fachleute oder auch der Betrachtenden.
Machen wir uns nichts vor: Im Museum sieht man meistens Präsentationen von Künstler:innen, die vor langer Zeit verstorben sind. Manchmal sind es jedoch lebende Kunstschaffende, doch sie sind oft bereits hoch betagt, beschäftigt und/oder gerade nicht vor Ort. Das bedeutet für uns, wir bekommen äußerst selten die Möglichkeit mit ihnen über ihre künstlerische Arbeit zu sprechen.
Schade, denn wir hätten so viele Fragen, die wir ihnen stellen würden. Geht es Euch auch so? Dachten wir schon!
In unserer Reihe KUNST + nachgefragt treffen wir interessante Künstlern:innen, die sich bereit erklärten unsere (und Eure!) Fragen zu beantworten. Wir sprechen mit ihnen über Gott und die Welt, aber vor allem ihre Kunst.
Sie erzählen, wir hören zu und stellen Fragen. Das was dabei raus kommt, möchten wir mit Euch teilen.
Unseren nächsten Gesprächspartner, Zaki Al-Maboren, trafen wir am letzten Tag des Jahres 2020. Zaki Al-Maboren ist eine strahlende Persönlichkeit, ein erfolgreicher Künstler mit Tiefgang. Kennengelernt haben wir uns vor genau vier Jahren während der Vorbereitungen auf die documenta 14.
KK: Lieber Zaki, wie geht es Dir, wenn Du auf dieses merkwürdige Jahr zurückblickst?
Zaki: Ich hatte ein Superjahr! Am Anfang hatte ich, wie die meisten von uns, mit vielen Ängsten zu tun. Die geplanten Ausstellungen in Dublin, Karlsruhe und Detroit und mein Projekt in Saudi-Arabien mussten abgesagt werden. Ich hatte Angst um meine Familie und Sorge davor selbst krank zu werden. Die existenziellen Ängste dauerten nicht lange an, da erste Corona-Hilfe kam ziemlich schnell. Das hat mir ein Gefühl der Zuversicht gegeben und die Kraft weiter zu arbeiten. Ich konnte zwar nicht reisen, hatte aber die Idee über meine Reisen aus der Vergangenheit in Form von Bildern zu erzählen. Ich habe angefangen ein Bild aus verschiedenen Winkeln zu fotografieren, daraus kleine Geschichten zu machen und auf facebook zu posten. Die Resonanz darauf war enorm! Ich habe damit überhaupt nicht gerechnet. Danach hatte ich so viel Anfragen, dass es mir nichts anderes blieb, als weiter intensiv zu arbeiten. Und das war schön…
KK: Wie ist es, während des Lockdowns zu arbeiten? Merkst Du einen Unterschied?
Zaki: Es ist auf jeden Fall anders. Das Positive an dieser Zeit ist, dass man zum Um- bzw. Nachdenken kommt. Im Internet kursiert der Spruch „Ohne Kunst wird es still“. Das stimmt. Aber ich brauche die Stille, um meine Kunst zu machen. Und während des Lockdowns war es in meinem Atelier am Bebelplatz so still wie noch nie. (Sein Atelier im Kunsttempel hat Zaki seit 1993. Anm. K+K.) Da alle Veranstaltungen und spontane Besuche ausfielen, hatte ich viel Zeit um ungestört zu arbeiten. Wenn das Leben auf einmal nicht mehr vorwiegend draußen stattfindet, das macht etwas mit einem. Die Besonderheit der z.B. skandinavischen Länder, aber auch von Deutschland oder Frankreichs besteht darin, dass man sehr viel Zeit in den Innenräumen verbringt, weil das Klima dazu veranlasst und die meiste Arbeit in den Innenräumen stattfindet. Kunstwerke für die Innenräume (Wohn- oder auch Büroflächen) sind sehr gefragt. In dieser besonderen Zeit, in der das Reisen unmöglich wurde, wird Kunst in den eigenen Räumen zur Quelle der Inspiration, die man sonst womöglich auf den Reisen findet.
KK: Je düsterer die Zeiten desto stärker die Sehnsucht nach Schönheit…
Historisch gesehen lässt der momentane (gezwungene) Rückzug ins Private an das Kulturphänomen der Biedermeier des 19. Jahrhundert anlegen. Es handelte sich dabei um einen Rückzug in die Häuslichkeit als Reaktion auf die damalige politische Situation. Privat- und Familienleben bekamen einen neuen Stellenwert. Wie siehst Du das?
Zaki: Ja, auf jeden Fall! Menschen müssen auf einmal drinbleiben und viel Zeit miteinander bzw. alleine verbringen. Das Gute ist, man hat auf einmal die Zeit um Dinge zu tun, die in der gewohnten Routine oft zu kurz kommen. Nachdenken, lesen, gemeinsam zu musizieren vielleicht.
Gleichzeitig bringt die heutige Situation die Schwachstellen unserer Gesellschaft ans Licht. Z.B. die stricke Trennung nach Altersgruppen. So viele ältere Menschen, die zusammen mit anderen älteren Menschen leben und sterben müssen. Das muss nicht so sein. Wir brauchen weniger Trennung und mehr Gemeinschaft.
KK: Auf jeden Fall! Daran müssen wir alle noch arbeiten. Apropos Arbeiten. Du sagtest, Stille sei wichtig für Dich. Wo aber findest Du Deine Stille in „normalen“ Zeiten? Was nährt Dich und Deine Kunst?
Zaki: Begegnungen. Ich bekomme Energie von allen Menschen die ich treffe. Wir haben diesen Sommer extrem viel Zeit im Garten verbracht. Normalerweise arbeite ich abends. Ich bewältige meinen Tag und gehe abends ins Atelier. Dann habe ich die Stille die ich brauche. Da entstehen Serien, wie jetzt zum Beispiel über die nubische Kultur. Das ist etwas, was ich immer machen wollte. Durch Reisen und Termine kam ich nie dazu, aber jetzt habe ich die Zeit. Normalerweise hätte ich länger gebraucht.
KK: Nubische Kultur…. Klänge Deiner Heimat. Zaki, wie können wir uns Dich als Kind vorstellen? Wieviel von diesem Kind steckt in Deiner Kunst?
Zaki: Ich wurde auf der Insel Artul geboren. Eine der vielen, von Menschen erschaffenen Inseln im Nordsudan, genau dort wo der Nil einen Knick macht. Diese Insel stammt aus der Zeit der Nubischen Prinzessinnen. In ferner Vergangenheit wurde Nordsudan von Frauen regiert. Immer wenn ein Mädchen geboren wurde, wurde eine Insel gebaut, auf 11 Inseln ist meine Verwandtschaft verteilt. Die Ureinwohner dieser Inseln haben alles selbst erwirtschaftet.
Artul ist ein besonderer Ort. Da steht die älteste Kirche im Sudan. Viele Menschen, die von dort kommen sind Künstler geworden, einige sind bei der UNO, manche kennt man aus dem TV.
Die magische Kraft dieser Insel spüre ich bis heute. Meine Kindheit war geprägt von Freiheit, wir kannten keinen Staat oder Präsidenten.
KK: Was hast Du von dieser Kindheit bewahrt?
Zaki: Geschmäcker und Düfte. Wenn ich in eine Gurke beiße, weiß ich wie sie als Kind schmeckte. Wir hatten sehr viele Dattelbäume. Wenn ich heute eine Dattel esse, bekomme ich sofort Durst, weil es bei uns so warm war. Das ist wie eine alte Festplatte. Diese klare Luft, der weite Himmel. Man sieht alle Sterne. Aber vor allem sind es Farben. Als ich mein Geburtshaus nach einer langen Zeit wiedersah, habe ich alle Farben gesehen die ich heute verwende.
Es gibt Künstler die anfingen mehr Farben zu verwenden, weil sie sich von meinen Bildern inspirieren ließen. Viele fürchten sich vor Farben. Anjelika, du kennst das sicher von deinen Kleidern? Viele sprechen dich darauf an, trauen sich aber nicht es selbst anzuziehen oder?
KK: Anjelika: Oh ja!
Zaki: Deutschland verändert sich mit der Zeit. Und wir leisten unseren Beitrag indem wir Anstöße geben.
KK: Ja, aber viele haben Angst vor Veränderung und sprechen vom „Verlust der Kultur“. Dahinter versteckt sich ein starres Konstrukt, eine Art Käfig, die für viele Menschen so etwas wie Sicherheit bedeutet. Wie siehst Du das?
Zaki: Wir Menschen brauchen eine Orientierung. Also suchen wir irgendwelche Kriterien um andere Menschen zu definieren. Du bist Christ? Ich auch! Also kenne ich dich. Man baut sich ein Konstrukt und jeder der nicht reinpasst wird ausgeschlossen und damit zum Feind. Deshalb wollen viele ihre Kultur behalten. Aber es geht nicht um die Kultur, sondern man will einfach sein Wissen nicht erweitern. Aus den Unterschieden zu lernen bedeutet Arbeit und die wollen nicht alle machen.
Kultur ist die Aktivitäten aller Menschen. ALLER. Die festgefahrenen Kulturen kommen durch Unverständnis und dann handeln sie unlogisch.
KK: Worum geht es Dir? Welche Werte sind bei Dir zentral?
Zaki: Dass es Frieden gibt. Kunst und Kultur sind wichtig, um Menschen weiterzubilden. Oft werde ich gefragt: Wie kannst du Deutschland definieren? Deutschland als Land der Dichter und Denker, nicht der Industrie. Industrie kommt und geht. Das soziale Netz ist in Deutschland sehr gut, in anderen Ländern existiert es in der Form nicht.
Viele Menschen leiden hier an Verlustangst. Durch das Kriegstrauma haben viele Angst, Land zu verlieren. Und die Leute, die Deutschland scheinbar am meisten „lieben“, sind die, die das Land zwei Mal kaputt gemacht haben.
Während des ersten Lockdowns ist mir etwas Wesentliches bewusst geworden. Von den meisten Menschen in Deutschland wurde die Unmöglichkeit des Reisens als „Verlust der Freiheit“ empfunden. Die eigentliche Freiheit, wie die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit etc. ist hierzulande mittlerweile so selbstverständlich, dass kaum einer darüber spricht. Das kann man als durch und durch positiv sehen, da für die meisten Gesellschaften auf unserem Planeten dies leider ein unerreichbarer Zustand bleibt.
KK: Das stimmt. Häufig ist uns dieses Privileg der Freiheit nicht richtig bewusst.
Und nun die letzte Frage. Bitte vervollständige den Satz: Kunst bedeutet für mich….
Zaki: Heilmittel. Kunst ist ein Heilmittel für die Gesellschaft, weil es die Interpretation von Leben und Materie ist. Und für Künstler eine Art von Therapie. Ohne Kunst wäre ich nicht wie ich heute bin. Meine Werke hängen überall auf der Welt und spenden Freude. Ohne Kunst hätte ich kein Netzwerk und mein Leben.
KK: Wir danken Dir für Deine Zeit und Deine Offenheit.