Ein schöner Fluch. KUNST + nachgefragt mit Aliaa Abou Khaddour
„Aber was will der Künstler uns damit sagen?!“, gehört zu den wohl am häufigsten gestellten Fragen im Museum. Eine eindeutige Antwort ist nun selten möglich. Nur wenige Künstler:innen hinterlassen schriftliche Äußerungen zu ihrem Werk. Alles andere ist und bleibt eine Interpretation. Die der Fachleute oder auch der Betrachtenden.
Machen wir uns nichts vor: im Museum sieht man meistens Präsentationen von Künstler:innen, die vor langer Zeit verstorben sind. Manchmal sind es tatsächlich lebende Kunstschaffende, doch oft sind sie bereits hoch betagt, beschäftigt und/oder gerade nicht vor Ort. Das bedeutet für uns, wir bekommen äußerst selten eine Möglichkeit mit über ihr künstlerisches Schaffen zu sprechen.
Schade, denn wir hätten so viele Fragen, die wir ihnen stellen würden. Geht es Euch auch so? Dachten wir schon!
In unserer Reihe KUNST + nachgefragt treffen wir spannenden Künstlern:innen, die sich bereit erklärten unsere (und Eure!) Fragen zu beantworten. Wir sprechen mit ihnen über Gott und die Welt, aber vor allem ihre Kunst.
Sie erzählen, wir hören zu und stellen Fragen. Das was bei raus kommt möchten wir mit euch teilen.
Dieses Mal ist unsere Gesprächspartnerin die in Damaskus geborene Künstlerin Aliaa Abou Khaddour.
KK: Liebe Aliaa, erstmal vielen lieben Dank dafür, dass du Dir die Zeit genommen hast. Wir beginnen mit einer Frage die Du sicherlich schon mehr als einmal gehört hast: Wie bist Du zur Kunst gekommen?
Aliaa: Es kann banal klingen, oder kitschig, aber ich wusste das sehr früh, dass ich das sehr gut kann. Ich habe in der ersten Klasse eine Aubergine an die Tafel gezeichnet und die Lehrerin hat meine Mutter angerufen, die auch Lehrerin war, und die ganze Schule vor die Tafel kommen lassen und da wusste ich, dass es etwas Besonderes sein muss. Und dann habe ich Kunst studiert. Das war sozusagen mein Schicksal.
KK: Und Du hast auch Kunstgeschichte studiert, oder?
Aliaa: Ich habe Kunst empirisch und theoretisch in Damaskus studiert, mit dem Schwerpunkt auf Architektur. Das Interesse an Kunst entwickelte ich schon sehr früh. Mein Vater war ein Schriftsteller und ist sehr kunstaffin. Meine Eltern sind sehr intellektuell und haben beide Philosophie und Sozialwissenschaften studiert. Wir hatten zu Hause sehr viele Bücher, so dass man den Eindruck hatte in einer Bibliothek zu sein. Wir waren immer diese besondere Familie in der Kunst und Kultur, Museen und Ausflüge immer eine wichtige Rolle spielten. So habe ich gelernt Kunst sehr zu schätzen. Ich habe den Schwerpunkt Architektur mit Bestnoten abgeschlossen und sogar an der Uni unterrichtet, aber es fehlte immer etwas. Im Grunde wollte ich nur meine Familie glücklich machen und etwas „Vernünftiges“ machen, anstatt von bildender Kunst zu leben. So habe ich mich eine Zeit lang nur auf Innenarchitektur fokussiert bis ich ein Stipendium bekam und nach Deutschland reisen konnte.
KK: Und wie ging Dein Weg in Deutschland weiter?
Aliaa: Mein Ticket war eine Doktorarbeit, die ich hier schreiben sollte aber es gab natürlich Hindernisse. Ich musste mit 26 eine neue Sprache lernen und gleichzeitig eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Ich habe sehr intensiv studiert und habe einen tollen Mentor gehabt, der mir sehr viel beigebracht hat. Kurz vor der Beendigung ist mein Doktorvater leider gestorben. Dann war ich schwanger und habe beschlossen dieses Projekt abzubrechen. Das Thema war veraltet und ich wollte zu dem zurückkehren, was ich am liebsten mache: der Kunst. Ich wollte etwas schaffen. Das war 2015 und 2012 war ich nach Kassel gezogen.
KK: Das muss ein großer Wandel für Dich sein. Fühlst Du Dich in Kassel mittlerweile zu Hause?
Aliaa: Kassel ist etwas Besonderes. Es ist schwer für mich Heimatgefühle zu definieren. Für mich sind mehrere Orte Heimat. Natürlich Syrien aber auch Oldenburg. Ich habe für mich begriffen, dass es die Menschen sind. Egal welcher Religion sie angehören oder woher sie stammen, sie sind mein Tribe -mein Stamm. Sie sind die Menschen die für mich Heimat sind und die schleppe ich mit. Und hier mit den Menschen in Kassel und auch der Kunstszene, habe ich Heimat gefunden. Langsam fühle ich mich sehr wohl. Ich gehöre hierher.
KK: Diese Verbundenheit zeigt sich irgendwie auch in Deinen Bildern. In Deinen Arbeiten begegnet man oft Motiven, die einem Märchen entsprungen zu sein scheinen. Gibt es Märchen die Du immer wieder aufgreifst und verwendest?
Aliaa: Ich glaube ich mache das unbewusst. Ich denke nicht an eine bestimmte Geschichte. Ich sammele meine Lieblingsbilder, meine eigenen und frei verfügbaren. Diese Bilder zerschneide ich und setze sie zu Collagen zusammen, manchmal nutze ich sogar bis zu zehn Bilder. Es geht um die Motive und gar nicht mal um die Geschichte. Aber es geht auch andersrum. Manchmal bekomme ich einen Text und muss dazu eine Narrative entwickeln. Bei meinen persönlichen Projekten ist das umgekehrt. Ich erstelle ein Motiv und ihr, die Betrachter, entwickelt eine eigene Geschichte. Oft bin ich auch von einem Motiv besessen. Dann schaffe ich dazu ganze Serien.
KK: Dein Sohn ist noch in einem Alter in dem die Märchen eine große Rolle spielen. Doch in wie weit beeinflusst das Mutterdasein Deine Kunst?
Aliaa: Ich bin wegen ihm motiviert. Er spielt so eine große Rolle und ich möchte in meinem Schaffen ein Vorbild für ihn sein. Er ist von meiner Arbeit begeistert und ich denke auch, dass er talentiert ist. Er zeichnet und übt. Meine Familie unterstützt mich extrem in dem was ich tue.
KK: Es gibt Künstler:innen deren Arbeiten auf den ersten Blick sehr düster und melancholisch sind, Deine Bilder wirken aber zunächst verspielt und versprühen eine Glückseligkeit, etwas Phantastisches. Das ist etwas was heute in der Kunst nicht so gern gesehen wird. Die Schönheit ist heute regelrecht verpönt. Viele meinen, dass Kunst nicht schön sein darf. Hast Du deswegen schon Kritik gespürt oder gehört? Wie gehst Du damit um?
Aliaa: Ich habe noch keine professionelle Kritik bekommen, aber dafür viel Feedback. Zum einen begeistern sich die Menschen, wenn sie etwas Ästhetisches sehen. Gleichzeitig hat aber jeder das Gefühl, es gebe etwas Düsteres und etwas Trauriges in meinen Bildern. Mir ist bewusst, dass es sich nicht immer verkauft aber das ist meine Authentizität. Wenn ich etwas veröffentliche und poste, kommt häufig meine Familie auf mich zu und fragt, ob alles gut sei (lacht). Ich habe dieses Bedürfnis Gefühle zu zeigen, die ich sonst nicht zeige. Ich bin sehr optimistisch und versuche diese Gefühle häufig zu unterdrücken. Ich zeige diese rätselhaften Gesichter und traurigen Szenen, weil sie im Moment meine Wahrheit sind.
KK: Gerade die Bilder von Deinem Sohn versprühen so eine kindliche Melancholie. Man hat auf der einen Seite diese Schwere, die aus dem tiefsten Inneren nach oben zu kommen scheint, und gleichzeitig die Heiterkeit und Leichtigkeit der sie umgebenden Motive.
Aliaa: Ja, diese genau diese Balance ist auch beabsichtigt. Ich plane meine Bilder sehr genau. Die Planung nimmt viel Zeit ein, die Arbeit am Werk geht meistens ganz schnell. Es ist wichtig zu wissen, wann es genug ist. Ich habe mit der Zeit ein Gefühl für Leere und Fülle entwickelt. Die Bilder sollen immer noch skizzenhaft bleiben.
KK: Aliaa, sag mal, woher kommt deine Inspiration? Bekommst du sie im Alltag von außen, oder kommt sie aus dem Inneren?
Aliaa: Es kommt von Innen. Ich mache mir morgens eine Tasse Kaffee und setze mich an den Schreibtisch. Ich bin sehr zielstrebig und arbeite jeden Tag. Ich schaue auch auf andere Künstler, und ihre Arbeit spornt mich an. Diese indirekte Konkurrenz treibt mich jeden Tag an. Aber ich habe keine traditionelle Inspirationsquelle. Der Wunsch nach Anerkennung durch die Familie und Außenstehende ist mir wichtig.
KK: Und hast Du als Künstlerin ein Lieblingsmedium, oder etwas was niemals in Frage kommen würde?
Aliaa: Ich bin ein Mensch der mit Linien arbeitet. Ich zeichne gerne, aber nicht unbedingt schwarz-weiß. Ich kann sehr verflochten, fein und realistisch malen, aber ich möchte nicht das Skizzenhafte einbüßen. Somit wäre mein Medium Stift und Papier, manchmal auch Holz. Ich würde nichts ablehnen, aber momentan würde Malerei nicht infrage kommen, weil es zu lange dauert. Ich kann mich nicht zu lange damit beschäftigen. Ich muss mich schnell davon trennen können, da ich sonst beginne meine Arbeit zu hassen. In meinem Atelier hängen keine Bilder und das Schönste ist die Schnellfertigkeit. Es ist wie ein Gedicht, ein flüchtiger Moment, so momentgebunden wie ein flüchtiges Gefühl. Häufig arbeite ich an einem Werk einen, oder maximal zwei Tage wobei die Planung teils Monate in Anspruch nimmt. Eigentlich ganz ähnlich wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit.
KK: Das kommt uns bekannt vor. Die Vorbereitung für eine Führung dauert oft Wochen und Monate, doch die Führung an sich nur wenige Minuten. Und wir kommen zu unserer letzten Frage: Neben welchem/r Künstler:in würdest Du gerne hängen?
Aliaa: Rene Magritte oder vielleicht Egon Schiele. Einen Künstler aus Oldenburg find ich faszinierend. Sein Name ist Horst Janssen. Seine Bilder sind sehr düster, er malte tote Vögel und Insekten. Momenten bin ich in dieser Phase und würde mein Werk dann vermutlich ins Horst-Janssen-Museum in Oldenburg hängen.
KK: Wir kommen langsam zum Schluss. Liebe Aliaa bitte ergänze diesen Satz: Kunst bedeutet für mich….
Aliaa: Kunst ist für mich ein schöner Fluch, positiv aber auch negativ. Es existiert in mir ohne, dass ich es kontrollieren kann. Kunst kann belastend sein. Es ist schwierig kreativ zu sein. Kunst ist schön aber macht viel Arbeit. Für mich ist Kunst ein Grundbedürfnis, eine Notwendigkeit, mein Lebensinhalt.
KK: Wir danken Dir für Deine Zeit und Deine Offenheit!
Vom 23.10 bis zum 29.11 können Sie Aliaa´s Arbeiten im Rahmen einer Doppelausstellung im Kunstbalkon Kassel bewundern.