Otto Mueller: Kunst zwischen Faszination und Kritik
Otto Mueller – ein Name, der wie ein Prisma wirkt: Sein Werk spiegelt die Ideale und Widersprüche seiner Zeit wider. Anlässlich seines 150. Geburtstags widmet das LWL-Museum für Kunst und Kultur dem expressionistischen Maler vom 20. September 2024 bis zum 2. Februar 2025 eine umfassende Ausstellung. Doch wie geht man mit einem Künstler um, dessen Werk sowohl von einer tiefen Faszination für das "Ursprüngliche" als auch von problematischen Stereotypen geprägt ist?
Ein kritischer Blick in die Vergangenheit
Bereits der Katalog zur Ausstellung setzt einen deutlichen Fokus: Der Umgang mit romantisierenden und stereotypisierenden Darstellungen von Minderheiten steht im Zentrum der Schau. Otto Mueller, ein zentraler Vertreter der expressionistischen Gruppe "Die Brücke", griff in seinen Werken immer wieder auf Bilder von Sinti* und Roma* zurück – Bilder, die heute als problematisch gelten.
Wie Klaus Michael Bogdal treffend formuliert: "Die ‘große Erzählung‘ über ein Naturvolk inmitten der Zivilisation wurde zu allen Zeiten [...] ohne die Romagruppen selbst geschrieben." Muellers Werke sind ein Beispiel für diese einseitige Erklärung. Sie romantisieren das "Fremde", fixieren es auf einen exotisierten Blick und verstellen dabei die realen Lebenswelten der dargestellten Menschen.
Ein Dialog der Perspektiven
Die Ausstellung des LWL-Museums setzt genau dort an. Sie stellt Muellers Werk in einen Dialog mit den Arbeiten anderer Expressionist:innen wie Ernst Ludwig Kirchner oder Karl Schmidt-Rottluff, aber auch mit zeitgenössischen Künstler:innen aus der Community der Sinti* und Roma*. So zeigen Małgorzata Mirga-Tas (*1978), Luna De Rosa (*1991) und Vera Lacková (*1989) in ihren Werken, wie stereotype Darstellungen hinterfragt und neu bewertet werden können.
Zusätzlich beleuchtet die Schwarze deutsche Wissenschaftlerin Natasha A. Kelly (*1973) in einer eigens entwickelten Installation Muellers Verbindungen zum deutschen Kolonialismus. Ihre Arbeit zeigt etwa, wie Muellers Darstellungen von Sinti* und Roma* durch kolonial geprägte Sehgewohnheiten beeinflusst wurden. Kelly kontrastiert Muellers Werke mit Archivmaterial und Stimmen aus der Community, um die Folgen dieser Narrative sichtbar zu machen und gleichzeitig Raum für die Perspektiven der Betroffenen zu schaffen.
Was machen wir mit Muellers Erbe?
Der Katalog geht offen mit diesen Fragen um und ruft zur kritischen Auseinandersetzung auf. Bereits im Vorwort heißt es: "Gerade in der heutigen Zeit müssen Museen sich kritisch damit auseinandersetzen, welche Kunstwerke sie zeigen und welche Narrative sie der Öffentlichkeit anbieten." Dieser Appell wird in der Ausstellung konsequent umgesetzt.
Die Besucher:innen erwartet keine einfache Hommage an Muellers Werk, sondern eine Einladung zum Nachdenken: Wie können wir Kunstwerke zeigen, ohne Rollenbilder und Klischees zu reproduzieren? Wie schaffen wir eine Plattform, die nicht nur über Minderheiten spricht, sondern sie einbezieht?
Lernen aus der Geschichte
Die Ausstellung ist nicht nur eine Werkschau, sondern auch ein Diskussionsraum. Sie zeigt, dass Kunst nicht losgelöst von ihrem historischen Kontext betrachtet werden kann. Das LWL-Museum bietet durch Begleitmaterialien, Vorträge und künstlerische Interventionen eine umfassende Kontextualisierung.
Vortragsreihen wie unsere Veranstaltung"Zwischen Faszination und Verachtung- der Blick auf "das Fremde" " und Workshops ermöglichen eine tiefere Auseinandersetzung mit Themen wie Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus. Eine Literatur- und Linkliste, die Ihr ganz unten findet, gibt Euch die Möglichkeit, Euer Wissen zu vertiefen.
Der schmale Grat zwischen Kritik und Würdigung
Weder Verherrlichung noch Verteufelung: Die Ausstellung findet eine Balance zwischen der Würdigung von Muellers künstlerischer Leistung und einer kritischen Einordnung seiner Werke. Dabei geht es nicht nur um Mueller, sondern um eine größere Frage: Wie gehen wir heute mit kulturellem Erbe um? Andere Institutionen, wie etwa das Victoria and Albert Museum in London, haben vergleichbare Herausforderungen gemeistert, indem sie historische Werke mit begleitenden, kritischen Perspektiven ausgestellt haben. Solche Ansätze zeigen, dass die Kontexterweiterung durch moderne Stimmen und Reflexion eine wichtige Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen kann. Wie stellen wir sicher, dass Kunstwerke nicht nur als Reflexion ihrer Zeit gesehen werden, sondern auch als Chance, Diskurse für die Gegenwart und Zukunft zu schaffen?
Fazit: Kunst als Einladung zum Diskurs
Die Otto-Mueller-Ausstellung des LWL-Museums für Kunst und Kultur zeigt, wie Kunst gleichzeitig faszinieren und verstören kann. Sie lädt dazu ein, Kunst nicht nur als historische Leistung zu betrachten, sondern als Spiegel gesellschaftlicher Dynamiken und Konflikte, die bis in die Gegenwart reichen. Im Kontext aktueller Debatten um Diversität, Gerechtigkeit und den Umgang mit kolonialen Narrativen gewinnt der Diskurs um Muellers Werk eine neue Relevanz. Die Ausstellung bietet die Chance, diese Themen im Dialog zu vertiefen und gesellschaftliche Fragen durch die Linse der Kunst kritisch zu reflektieren. Sie fordert uns auf, nicht stehenzubleiben, sondern weiterzufragen: Wer schreibt die Geschichten über Kunst? Wer wird gehört, wer nicht? Und wie können wir aus den Antworten lernen?
Wir freuen uns, dass das LWL Museum für Kunst und Kultur sich diesem wichtigen Thema widmet und vormacht, wie ein kritischer Umgang mit dem problematischen Nachlass eines Künstlers gelingen kann. Wir können Euch die Ausstellung wärmstens ans Herz legen, denn es ist eine Ausstellung, die Augen öffnet und Gespräche anregt – ein Pflichtbesuch für alle, die Kunst nicht nur sehen, sondern verstehen wollen.
Ihr wollt Euch zum Thema Antiziganismus weiterbilden? Dann kommt hier unsere unverbindliche Leseempfehlung:
Artikel und Webseiten
NDR: Wirklich kein Platz für Antiziganismus? Zum Internationalen Tag der Romnja und Sintizze
RomArchive: Roma in Art History
Bücher
Bogdal, K. M. (2013): Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. 5. Auflage. Suhrkamp Verlag, Berlin.
Hund, W. D. (Hg.): Fremd, faul und frei. Dimensionen des Zigeunerstereotyps. Edition des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung im UNRAST Verlag, Münster.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Verband Deutscher Sinti & Roma Landesverband Baden-Württemberg (Hg.) (1998): Zwischen Romantisierung und Rassismus. Sinti und Roma 600 Jahre in Deutschland. 1. Auflage. Stuttgart.
Pankok, M., Raabe, L., Rose, R. (Hg.) (2022): Widerstand durch Kunst. Sinti und Roma und ihr kulturelles Schaffen. Ch. Links Verlag, Berlin.
Artikel und wissenschaftliche Beiträge
Avkiran, M. (2018): Das rassifizierte Fremde im Bild. Zur Genese differenzbildender Konzepte in der Kunst des 15. Jahrhunderts am Beispiel des Malers Hans Memling. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft.Themenheft zu Heft 28, Jg. 14 (2018), Nr. 2, S. 40–74. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/16418 (PDF).
Kröll, M. (2016): Die administrative Bekämpfung des „Zigeunerunwesens“ in Österreich 1880-1938. Diskriminierung einer Minderheit als konstruiertes Problem. Diplomarbeit, Universität Wien (PDF).
Pokorny, E. (2011): Das Zigeunerbild in der Altdeutschen Kunst. Ethnographisches Interesse und Antiziganismus.In: Menschenbilder. Beiträge zur Altdeutschen Kunst. Michael Imhof Verlag (PDF).
Rüthers, M. (2014): Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“ – Juden und Roma/Zigeuner in den europäischen Topografien der Erinnerung. Franz Steiner Verlag, Stuttgart (PDF).